Mittwoch, 8. August 2012

Friendica, das soziale Netzwerk der Zukunft

Update: Mittlerweile bin ich in der Red-Matrix gelandet, dem neuen Projekt des ehemaligen Hauptentwicklers von Friendica, das unten schon angedeutet wurde. Dorthin ist dieses Blog mittlerweile auch umgezogen, neue Posts sind unter https://red.zottel.net/channel/zottelszeug zu finden.

Es wird Zeit. Nachdem ich seit beinahe einem Jahr glücklicher Friendica-Nutzer bin, muss ich endlich darüber schreiben. Und über die Visionen für Friendica Red, das gerade am Entstehen ist.
Aber fangen wir vorne an.

Was ist Friendica?
Friendica ist ein soziales Netzwerk, und zwar ein dezentrales. Das bedeutet, dass es keinen zentralen Anbieter gibt, der alle Daten hortet (wie bei Facebook oder Google+), sondern viele Server, die von Privatpersonen betrieben werden, und die miteinander Daten austauschen.

Ist Friendica das einzige dezentrale soziale Netzwerk?
Nein, aber meiner Meinung nach das vielversprechendste.
Andere Kandidaten sind z.B.:
Diaspora: War ursprünglich der vielversprechendste Kandidat, da es sehr viel mediale Aufmerksamkeit auf sich zog. Mittlerweile verharrt Diaspora aber noch immer im Alpha-Status, viele wichtige Bugs bleiben ungefixt, und die Entwickler haben sich mit http://makr.io ganz anderen Dingen zugewandt (auch wenn es immer wieder heißt, dass die dortigen Erkenntnisse irgendwann evtl. auch für Diaspora nutzbar sein könnten). Die Federation (Austausch von Posts zwischen Servern) funktioniert immer noch nicht einwandfrei (und soll vielleicht irgendwann komplett überarbeitet werden oder auch nicht), eine echte Verteilung der Nutzer auf viele Server existiert praktisch nicht (sehr wenige, sehr große Server, mit riesigem Abstand vor allen anderen joindiaspora.com) – weil es schwierig ist, selbst einen Server aufzusetzen, weil nie offiziell auf andere Server als den zetralen hingewiesen wurde, und weil man als Nutzer eines kleinen „Pods“ Nachteile gegenüber denen auf großen hat (Stichwort Hashtags). Viele Nutzer sind enttäuscht und wechseln zu anderen Netzwerken. Interessant in diesem Zusammenhang sind zum Beispiel https://joindiaspora.com/posts/1799964 (auf die Sprechblase klicken, um die Kommentare zu sehen!) und dieser Thread in der Diaspora-Developer-Group (Hinweis: Maxwell Salzberg ist einer der Hauptentwickler von Diaspora).
Buddycloud: Hat viele interessante Ansätze und ist optisch sehr gut gemacht. Durch die Vielzahl der einzelnen Server-Komponenten ist es aber relativ kompliziert, selbst einen Server aufzusetzen, und wie auch bei Diaspora ist es im Falle von Shared Hosting (man hat nur „Webspace“, keinen kompletten eigenen Server) normalerweise unmöglich. Grundsätzlich aber ein Projekt, das großes Potential besitzt.
Libertree: Neues Projekt von Pistos, der früher ein sehr aktives Mitglied der Diaspora-Community war und einen Pod betrieben hat (der mittlerweile nicht mehr aktualisiert wird). In seiner Art weniger mit Friendica/Diaspora/Facebook/G+ vergleichbar als mit Twitter oder StatusNet, da alle Nachrichten öffentlich sind. Ist noch einer frühen Entwicklungsphase, funktioniert aber schon sehr gut.
… und diverse weitere, die ich unter anderem deshalb nicht aufzähle, weil ich zu wenig über sie weiß.
Am weitesten fortgeschritten ist aber sicher Friendica. Längst aus dem Beta-Stadium heraus hat es schon eine ganze Reihe offizieller Releases gegeben – und es hat den Vorteil, dass es auf vielen Shared Hosts läuft und in etwa so einfach zu installieren ist wie ein Wordpress-Blog.

Was kann Friendica?
Von den unabhängigen, dezentralen Netzwerken ist Friendica derzeit sicher das mächtigste. Die Federation funktioniert sehr zuverlässig. Es gibt Foren/Diskussiongruppen/Seiten (öffentlich und privat), private Nachrichten, Organisation der Kontakte in Gruppen, nicht-öffentliche Posts an Gruppen, Möglichkeit zum Lesen des Streams nach Gruppen und vieles mehr.
Interessant ist auch, dass (abhängig davon, was der Server-Betreiber freigeschalten hat) auch die Möglichkeit besteht, Posts von anderen sozialen Netzwerken zu importieren und dorthin zu schreiben, z. B. Facebook, in Grenzen Google+, Diaspora, StatusNet, Libertree (nur posten), Twitter, sogar E-Mail, RSS-Feeds, Wordpress, Blogger, Insanejournal, LiveJournal und Tumblr. Für Jabber-User ist ein Chat integriert.
Durch die simple Erweiterbarkeit über Plugins sind den Möglichkeiten praktisch keine Grenzen gesetzt.
Das User Interface bietet die Wahl zwischen verschiedenen Themes; neuerdings ist auch ein Mobile Theme für Handys hinzugekommen. Anders als in anderen Netzwerken gibt es neben „Like“ auch „Dislike“, und auch Kommentare können gemocht werden.
Eine Android-App ist noch in Entwicklung, aber bereits gut benutzbar. Grundsätzlich können mobile StatusNet-/Twitter-Clients auch für Friendica benutzt werden, allerdings mit entsprechend eingeschränktem Funktionsumfang.

Wo geht es in Zukunft hin?
Der Hauptentwickler von Friendica, Mike Macgirvin,  hat soeben einen Artikel verfasst, der die Pläne für Friendica Red zusammenfasst. In der Community wird diese neue Version gerne scherzhaft „Fred“ genannt. Ich empfehle dringend die Lektüre dieses Artikels – die Visionen, die Mike dort vorstellt, sind einfach nur genial. Genau das, was ich mir in einem sozialen Netzwerk wünsche.
Ich zweifle nicht daran, dass diese Ziele auch erreicht werden. Mike beweist immer wieder, wieviel Zeit er in Friendica zu investieren bereit ist, und die Fortschritte, die Friendica innerhalb des Jahres gemacht hat, seit ich aktiver User bin, sind schlicht umwerfend.

Welche Nachteile hat Friendica?
Der wichtigste Punkt ist sicher der, der für alle Netzwerke außer Facebook gilt: „Meine Freunde sind nicht da.“
Leider ist es, wie ich selbst erfahren musste, bevor ich Facebook endgültig den Rücken kehrte (und damit viele Kontakte verlor), schwer bis unmöglich, Leute von Facebook loszueisen. Alles schimpft und ärgert sich, aber gehen will trotzdem keiner – für mich schwer verständlich.
Ich hoffe, dass die Leute irgendwann aufwachen und die immer dreisteren Zumutungen dieses Netzwerks nicht mehr hinnehmen (und Google+ ist da natürlich nur marginal besser). Dann ist Friendica da. Und Friendica kann den Übergang erleichtern, indem es möglich ist, über Friendica auch die alten Facebook-Kontakte weiterhin zu pflegen.
Manche Leute (speziell Diaspora-User) werfen Friendica vor, einfach nicht schön/attraktiv genug zu sein. Ich kann das nicht nachvollziehen, auch wenn es natürlich bessere User Interfaces auf dem Markt gibt (speziell Google+, wie ich neidlos anerkennen muss). Früher traf dieser Vorwurf durchaus zu; mit neuen Themes wie Diabook und Dispy sind diese Zeiten jedoch vorbei.
Und: Wer es gewohnt ist, Einladungen und Treffen über Facebook abzuwickeln, wird in Friendica derzeit noch enttäuscht. Termine können zwar angelegt, verschickt und kommentiert werden; eine Möglichkeit, außer per Kommentar zu- oder abzusagen gibt es derzeit aber noch nicht.

Wo gibt es mehr Informationen zu Friendica?
Die wichtigste Informationsquelle ist sicher http://friendica.com, die offizielle Infoseite zu Friendica. Ein deutsches Wiki gibt es hier.
Friendica Support ist selbst ein Friendica-Forum (Facebook-User würden so ein Forum eine „Seite“ nennen). Um dort Fragen zu stellen, braucht man allerdings einen Friendica-Account.
Eine Google Group zu Friendica existiert ebenfalls; die meiste Diskussion findet allerdings inzwischen in Friendica selbst statt.
Ich selbst beantworte auch gern Fragen, die mir per E-Mail gestellt werden (siehe Kontakt-Link rechts oben). Da ich nicht alle Zeit der Welt habe, kann so eine Antwort aber eine Weile dauern. ;-)

Wo kann ich Friendica testen?
Zu diesem Zweck existieren spezielle Testserver,  z. B. https://tryfriendica.de und http://tryfriendica.net. Auf diesen Servern wird der eingerichtete Account automatisch nach einigen Tagen gelöscht – inklusive aller Spuren, die er im Friendica-Netzwerk hinterlassen hat.
Wenn es dir gefällt und du sowieso schon einen eigenen Web-Auftritt hast, richte dir am besten einen eigenen Server ein! Es ist wirklich nicht schwierig, und in der Friendica-Community gibt es viele, die gerne helfen, sollte etwas schieflaufen.
Wenn du glaubst, dass du das nicht kannst, kannst du auch auf einen der öffentlichen Server zurückgreifen. Eine Liste der öffentlichen Server gibt es hier.
Ich selbst betreibe einen nicht-öffentlichen Server unter https://friendika.zottel.net. Er ist nur für Freunde und Familie gedacht. Wenn ich dich kenne, darfst du dich gern dort registrieren.

Fazit
Friendica ist derzeit der vielversprechendste „Gegenspieler“ von Facebook. Es ist alles da, was man für ein soziales Netzwerk braucht, und über die Anbindung anderer sozialer Netzwerke ist es sogar möglich, mit den alten Kontakten verbunden zu bleiben.
Die Pläne für Fred sind schlicht begeisternd und stellen genau das dar, was ich mir in Zukunft von sozialen Netzwerken erhoffe.